Das Institut für Computerbasiertes Entwerfen (ICD) und das Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) der Universität Stuttgart haben in Zusammenarbeit mit dem Institut für Strukturmechanik (IBB) der Universität Stuttgart und der Invertebraten Paläontologie (Invertebraten: wirbellose Tiere) und Paläoklimatologie der Universität Tübingen eine dünne, segmentierte Holzschale aus nur 2 cm dicken BauBuche-Platten, entworfen und gebaut. Die als „Segmented Shell“ bezeichnete Schalenkonstruktion war Teil der Sonderausstellung „baubionik – biologie beflügelt architektur“ im Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart, Schloss Rosenstein. Während der Ausstellungszeit empfing dieser Kuppelbau die Besucher gleich nach dem Eintreten in den Museumsraum, für den er entworfen wurde und konfrontierte sie direkt mit der Schönheit der Oberflächengestaltung des Materials. Die Geometrie des Pavillons erlaubt es den Besuchern auch, um die Schale herum zu gehen und die technische Ausführung genau in Augenschein zu nehmen.
Einzelplatten durch neigbare Fingerverbindungen fügen
Mit Spannweiten zwischen rund 7 m und 8 m überdachte die dünne Segmentschale rund 70 m2. Dabei bildeten 96 Einzelplatten die im Stich etwa 3,60 m hohe segmentierte Hüllenstruktur, die an ein dreidimensionales Puzzle erinnert. Sie ist das Ergebnis einer statischen Optimierung unter Berücksichtigung der Randbedingungen des Museumsraums und der Ausstellung selbst. Die BauBuche-Platten sind an den Rändern wie die Zinnen einer Burg ausgefräst, so dass die Auswölbungen in die Einbuchtungen der jeweils anschließenden Platte greifen – die Projektbeteiligten bezeichnen diese stabile Verbindungsart als Fingerverbindung, im Sinne ineinandergreifender Finger beim Falten der Hände. Damit konnten die Platten im jeweiligen Kantenstoß leicht abgewinkelt und die Übergänge zwischen den einzelnen Segmenten unterschiedlicher Neigungen ohne weiteres hergestellt werden. U-förmige, „rampenartige“ Einfräsungen in die Plattenoberseiten der mäandernden Randbereiche ermöglichten die Verschraubung und den biegesteifen Anschluss der Ränder von beiden Plattenseiten her.
Spezielle Seeigelart „Sanddollar“ als Vorbild für die Konstruktion
Die „Segmented Shell“ gehört zu einer Reihe von Versuchsbauten an der Universität Stuttgart, die das Anwendungspotenzial neuer computerbasierter Entwurfs-, Simulations- und Fertigungsverfahren in der Architektur untersucht. Ihrer Fertigstellung ging die Untersuchung der Konstruktion der Schalen hochangepasster Seeigel mit dem Namen „Sanddollar“ voraus. Diese bestehen aus modularen polygonalen Platten, die an den Kanten durch fingerähnliche Calcitvorsprünge und organische Fasern verbunden sind. Sanddollar zeigen außerdem eine hohe geometrische Vielfalt in Bezug auf die Gesamtform und die Plattenanordnung, ihr Skelett zeichnet sich darüber hinaus durch eine hohe Tragfähigkeit aus. In diesem Sinne weist die Schale eines Sanddollars morphologische Merkmale auf, die auch von vielen Schalenkonstruktionen im Hochbau gefordert werden: eine überwiegend flache Krümmung, Öffnungen und Verbindungen zwischen der Ober- und Unterseite. Diese Seeigelart dient der Bionik (Wissenschaft, die technische Probleme nach dem Vorbild der Natur zu lösen versucht) daher als geeignetes Modell für schalenähnliche Konstruktionen im Hochbau und damit auch für die dünne Holzkuppel der Ausstellung. BauBuche wiederum lieferte die idealen Materialeigenschaften dafür.
– Text by Susanne Jacob-Freitag –